Johanna Vennemann

CORWEH

This article was presented on  7 July 2022 at Siavoushan Centre

Ich möchte über jene spezifische erste Beziehung zwischen Körpern sprechen, die die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist, und zwar ausgehend von einigen Fragmenten des Falls eines Kindes, das nicht spricht, das Laute von sich gibt, aber keine Worte artikuliert und das also daher ein Körper ist, aber keinen Körper hat.

Wir haben einen Körper, weil wir sprechen, weil die Sprache ihn uns gibt. Die Sprache schiebt sich ständig, zwischen das Subjekt und dem Körper, und stellt somit gleichzeitig einen Zugang und eine Barriere dar: einen Zugang zum Körper als symbolischen Körper und eine Barriere zum realen Körper, zum Realen des Körpers.

Was passiert jedoch, wenn es eine übermäßige Implikation des Realen von Körpern gibt, wenn das Reale nicht durch einen Signifikanten verändert, mutiert, wurde? Hören wir uns die Worte der Mutter des kleinen Lorenzo an:

„Ich habe jedes Mal gesagt, ich danke Gott, dass er mir gegessen hat, – so mag man es auch in dialektalem oder schlechtem Deutsch sagen, wobei es im italienischen lautet, dass er mich gegessen hat, CHE MI HA MANGIATO, was ja eigentlich heißt, dass er gleichzeitig die Mutter und für sie und nur für sie gegessen hat – die Mutter fährt fort: -denn sonst wären wir an den Tropf gekommen. Es ist ein Wunder, dass er gewachsen ist, aber das ist auch deshalb, weil er neun Monate lang meine Milch getrunken hat. Ich hatte so viel Milch, auch wenn ich nicht viel gegessen habe und trotz all des Stresses und der Probleme in der Familie. Ich hatte nicht einmal Zeit, mir die Haare zu kämmen. Die einzigen Glücksmomente waren die des Stillens, das ist das Schönste für eine Frau, das eigene Kind zu stillen.  Wenn ich könnte, würde ich es jetzt weiter tun, ich habe noch Milch, die Drüsen scheiden noch welche ab.“

Ich erzähle hier von einem kleinen Jungen, der 5 Jahre alt ist, als ich ihn zum ersten Mal sah und der 4 Jahre lang bei mir in Therapie war.

Er ist ein psychotisches Kind, aber wie so oft in diesen Fällen beginnt seine Geschichte mit körperlichen Beschwerden, die die ganze Aufmerksamkeit der Mutter und der Ärzte in Anspruch nehmen, ohne dass jemand merkt, dass er nicht spricht. Dies wird erst bemerkt, als er drei Jahre alt ist und seine physische Krankheit verschwindet, ohne dass die Ärzte und Eltern verstehen wie, als er ein Stück Brot „stiehlt“ und die Mutter es ihn essen lässt, und seine üblichen Symptome nicht auftreten.

Ja, die Geschichte seiner Krankheit beginnt mit dem Abstillen: das Baby zeigt eine schwere Nahrungsmittelallergie gegen Gluten, die Mutter erinnert sich nicht an den Namen, sie weiß nur, dass es Magen-Darm ist, bei Lorenzo nur Darm, sie weiß vor allem, dass es nicht die Ziliarkrankheit ist, keine Allergie gegen Milcheiweiße, gegen ihre Milch also. Im Gegenteil, Lorenzo ist allergisch gegen jedes Lebensmittel, das die Muttermilch ersetzt. Die Symptome sind: Blasen auf der Haut und dann vor allen Dingen fürchterliche Ausscheidungen von unbeschreiblichem Geruch und Farbe, die schlimme Wunden am Po hervorrufen. Das einzig mögliche Heilmittel ist eine strenge Diät, ab jetzt darf der kleine Junge nur noch Reiscreme oder Tapioka, Hähnchen und Karotten essen. Er ist Infektionen und Erkältungen ausgesetzt, muss immer zu Hause bleiben, Medikamente können nur rektal verabreicht werden.

Und so verwandeln sich die so privilegierten Momente zwischen Mutter und Kind, die Mahlzeiten, Momente des extremen Genießens für beide, in einen Albtraum, in ständige Qual und Angst für die Mutter.

„Ich weiß nicht, wie er diese widerlichen Sachen essen konnte, vor allem wie konnte ich ihn dazu bringen sie zu essen? Er machte seinen Mund nicht mehr auf, Man musste ihn zwingen, ihn ablenken, mit dem Fernseher, mit Liedern von einigen Zeichentrickfilmen, die ihm gefielen, aber vor allem gefiel ihm die Werbung. Er sprach nicht, er sprach nicht mehr, er öffnete seinen Mund nicht, seinen Mund nicht um zu essen, und wenn man bedenkt, dass er schon angefangen hatte Mamma und Papa zu sagen.“

Letzteres ist eine erst kürzlich aufgetauchte Erinnerung der Mutter, fast eine Deutung, die die Funktion betrifft, die doppelte Funktion jenes Lochs, welches der Mund ist. Der an den Anderen gerichtete Schrei des Säuglings wird zum Anspruch, dies aber nur, wenn der Andere ihn annimmt, aufnimmt, ohne zu wissen, welches Begehren sich dahinter verbirgt.

Aber Lorenzo fragt, fordert nicht mehr, wenn er es jemals getan hat, er richtet keinerlei Anspruch an seine Mutter. Und die Mutter fragt auch kein „che vuoi“ was willst du, willst du deinen Brei, spielen, usw., sie weiß ja sowieso, dass das, was sie ihm geben kann, muss, ihrer Meinung nach, ekelhaft ist, und dass er es nicht will. Aber nur eine Mutter, die etwas vorschlägt, genau eben, weil sie nicht weiß, was ihr Kind will, macht es möglich, dass ein Wunsch geäußert, ein Begehren entstehen kann. Wie können wir wissen, wie einem Kind die Nahrung schmeckt? Sind es nicht die Mütter, die sie, mit ihren Worten, gutschmecken machen? „Oh wie lecker, hm da kommt es in deinen Mund geflogen … iss, dann wirst du groß …“. Und indem sie dies sagen, zeigen sie ein Begehren, nämlich ihres. Stattdessen musste Lorenzo gezwungen werden zu essen, man musste ihn festhalten, um Zäpfchen einzuführen.

Dies ist die Beziehungsmodalität, die zwischen der Mutter und dem Körper ihres Kindes hergestellt wird, eine Transformation jener ersten Modalität, die, indem sie es – man könnte fast sagen abfüllte, füllte, ihrem Kind jegliche Möglichkeit eines Anspruchs versperrte, jeglichem Zugang zum Sprechen, zur Anerkennung eines Begehrens verhinderte. Wenn es dem Kind jedoch unmöglich ist, unmöglich gemacht worden ist, vom Anderen in seinem Statut eines Begehrenden anerkannt zu werden, sagt uns Lucien Israel, entfremdet es sich in einen Teil seines Körpers. Scheint Lorenzos sprudelnder Darm nicht ein Pendant der überquellenden Mutterbrust zu sein?

Zuerst hatte die Mutter ihm den Mund mit ihren Unmengen an Milch zugestopft, mit ihrem Körper hatte sie das Auftauchen eines Lochs verhindert, welches das eines Begehrens hätte sein können, ein Begehren, das sie auf ihren eigenen Mangel verwiesen hätte. Jetzt verliert sie die Kontrolle über das andere Ende des Lochs, außer wenn sie ihrem Sohn die einzigen verträglichen Medikamente, Zäpfchen geben kann. Was bedeutet das für die Körperöffnungen des Kindes?  Im physiologischen Realen funktioniert der Säugling vor allem auf der Verdauungsebene, das heißt, das einzige Loch, das topologisch definiert werden kann, dasjenige, das vom Mund zum Anus führt.

Die Beziehung zwischen dem kleinen Subjekt und dem großen Anderen, dem Körper der Mutter, evoziert den der Oberfläche und der Löcher: EIN UM SICH SELBST GEDREHTES Möbiusband ohne Außen und Innen, nur aus einer Seite gemacht und topologisch nicht gelocht, nicht durchlöchert.

Für Lorenzo und seine Mutter scheint sich dieses Band ohne Außen und Innen für, über beide Körper fortzusetzen. Aber von dem Moment an, in dem der Körper der Mutter nicht gelöchert, sondern ein volles Ganzes ist, kann das Kind ihm nichts mehr entnehmen   und er ist selbst vollkommen durchlöchert. Nochmal anders gesagt:

Den Worten der Mutter zufolge, hatte Lorenzo die Eltern schon Mamma und Papa genannt und dann damit aufgehört. Da nicht mehr sie ihn mit ihrem Körper ernähren kann, hört sie seinen Appell nicht mehr, Appell, der zum Anspruch wird, wenn er an die Mutter gerichtet wird.

Andernfalls hätte sie die Oberfläche des Körpers ihres Kindes gelöchert, Körper, der nichts anderes mehr ist als eine Verdauungsröhre, oder besser gesagt, eine Nicht-Verdauungsröhre, dessen oberes und unteres Loch gleichwertig ist. Bei beiden musste die Mutter mit Gewalt vorgehen; ihr Kind dazu bringen den Mund auf zu machen und zu essen, sie musste ihn festhalten um die Zäpfchen einzuführen.

Aber war nicht sie es gewesen, die ein Kind ohne Begehren, ohne Loch wollte, das sie sofort mit ihrer Brust zustopfte.

Wenn der Körper des kleinen Menschenkindes in erster Linie Mund ist, dann nicht wegen eines Objekts von wirklicher Nahrung, sondern wegen eines Objekts, das dem Bereich des Anderen, der zum Signifikanten geworden ist, entnommen wird. Denn die Mutter streichelt das Kind, wenn sie, während sie es füttert, mit ihm spricht, indem sie es dazu drängt dies ebenfalls, seinerseits zu tun.

Aber wenn das Nahrungsobjekt, das das Kind dem Körper des Anderen entnimmt, nicht zu einem Signifikanten wird, wenn es real bleibt, tritt ein Kind in die Psychose ein. Dies ist etwas, das wir im Fall des kleinen Lorenzo nachvollziehen können,

Seine Mutter sprudelt nicht nur vor Milch über, sondern sie ist vor allem dann selbst voll, wenn sie das Kind an ihren Körper anheften kann und eins mit ihm wird, als wolle sie die Schwangerschaft um weitere 9 Monate verlängern; in der Tat, 9 Monate lang hatte sie gestillt, als sie, aufgrund der überquellenden, zu vielen Milch eine Mastitis bekommt, Antibiotika nehmen und den Sohn vollkommen abstillen muss. In diesem Augenblick wird der Körper ihres Kindes, der ein Teil von ihr und ihrem Genießen gewesen war, ihr weggenommen und verwandelt sich vollständig in ein Abfallprodukt, in etwas gänzlich Abstoßendes.

Der Körper des Kindes selbst wird zu einem Stück des Realen, ohne weitere signifikante Einschreibung durch die Mutter. Denn wir können davon ausgehen, dass der Ekel, von dem sie spricht, sicher nicht nur den Geschmack der faden Nahrung betrifft, die Lorenzo essen muss, sondern dass es sich um den Ekel handelt, den dieser Körper ihres Sohnes ihr jetzt verursacht, Körper, der nicht mehr zu ihrer narzisstischen Vollständigkeit beiträgt.

Der Diskurs selbst der Mutter ist ein voller Diskurs, ohne Lücke, ohne Fehl, Diskurs der es ihr ermöglicht alles über alles zu sagen. Sie weiß, sie weiß sogar, was Liebe ist: Liebe ist, ihrem Mann das Essen zuzubereiten – es ist doch nicht der Sex – welches Phantasmas verbirgt sich hinter dieser Idee, welches Phantasma von Verschlingen umhüllt sie mit ihrer ganzen Familie? – sie gibt sich selbst, ihren eigenen Körper zu essen. Was war denn ihre eigene Milch für sie? Unterscheidet sich diese vielleicht von ihrem Körper? Sie erinnern sich an den Satz: „Ich dank Gott, dass er mich – mir – gegessen hat.“ Wer hat wen gegessen?

Aber sehen wir jetzt, was diese ersten Monate in Lorenzos Leben sonst noch geprägt hat.

Was wir davon erfahren, ist natürlich bereits eine von der Mutter berichtigte Version. Als Lorenzo 3 Monate alt ist, stirbt plötzlich sein Großvater väterlicherseits. Dieser – so unmenschlich Tod, wie sie ihn nennt, – versetzt ihren Mann in einen Zustand untröstlichen Schmerzes, den dieser nicht bewältigen kann. Er stürzt sich in die Arbeit, ohne sich noch um sie, den Sohn und die ältere Tochter zu kümmern, zu sorgen. Die Mutter aber scheint sich dieses Alleingelassen worden Seins erst bewusst zu werden, als Lorenzos Krankheit beginnt. Was sie zuvor gestresst hatte, war die überfüllte Wohnung, da sie ihre Schwester und deren Verlobten, der ihrem Mann bei der Arbeit half, aufgenommen hatte.

Und als ob das nicht genug wäre, kehrt ausgerechnet in dem Moment ein altes Symptom zurück: beim Baden ihres Sohnes verspürt sie auf einmal Rückenschmerzen, ein Wiederauftreten des Bandscheibenvorfalls, den sie erst vier Monate vor Lorenzos Empfängnis hatte operieren lassen.

Welche Spur hinterlässt für das Kind das, was in den ersten Lebensmonaten passiert, wenn es sich, wie Lorenzo, zwischen dem seelischen Schmerz des Vaters und dem körperlichen Schmerz der Mutter befindet, Schmerz, der der Widerhall auf seine Krankheit zu sein scheint, und der durch keinerlei Sprechen vermittelt wird.

 „Ich konnte ihn nicht mehr hochheben, nicht mehr auf den Arm nehmen, aber ich habe ihm beigebracht selber und alleine auf sein Stühlchen zu klettern, um zu essen.“

Der kleine Junge ist wie in die Welt geworfen und nicht einmal das Sprechen, das Wort der Mutter hält ihn, stützt ihn mehr, vor allem im Moment der Nahrungsaufnahme. Die Mutter selbst schreibt ihren eigenen Worten keine Kraft zu und ersetzt sie durch das Geräusch des Fernsehers, und insbesondere der Werbung, der sie die Fähigkeit zuschreibt, ihren Sohn abzulenken und ihn dazu zu bringen, den Mund zu öffnen: ein Versuch der Konditionierung – alla Pavlov könnte man sagen – und noch dazu ein Gelungener.

„Eines Tages – sagt die Mutter – klammerte Lorenzo sich in Schlafzimmer an sein Bettchen, als er die Werbung hörte. Er ließ das Bett los, rannte zum Fernseher und ab dem Moment konnte er laufen“.

So wie Pawlows Hund keine Ahnung vom Wunsch des Experimentators hat, so hat Lorenzo keine Ahnung vom Begehren seiner Mutter. Begehren und Bedürfnis geraten durcheinander, ja, ersetzen einander, ebenso wie es in der Werbung geschieht, die Bedürfnisse künstlich erzeugt und versucht sie in Wünsche, wenn nicht gar Begehren zu verwandeln.

Dies ist der einzige andere Ort der Mutter und ihres Diskurses. Bilder und Klänge, die sich an alle und niemanden wenden, die durch die Wiederholung von Bildern einfangen, die Augen und Ohren füllen. Wie kann ein Kind zur Sprache geboren werden, wenn dies das einzige Jenseits, der einzige andere Ort der Mutter ist? Wenn dieser anonyme Diskurs der Einzige ist, der sich dem entgegensetzt, der die Sprache der Mutter gewesen war, die ihr Kind im Arm hielt und es mit ihren Liebkosungen umhüllte.

Und wie könnte dieses Kind eine Idee von dem Begehren haben, das sich in den Lücken des Diskurses der Mutter erahnen lässt, wenn dieser Diskurs voll ist, wie am Anfang der Beziehung zwischen Mutter und Sohn, oder ganz leer ist, wenn er durch die Geräusche der Werbung verdoppelt, ja ersetzt wird, wie dann? Ist es da verwunderlich, dass Lorenzo vor dem Spiegel das hält, was seine Mutter „seine Diskurse“ nennt, die nur eine Aneinanderreihung von Tönen sind, eine Echolalie des Fernsehgeräusches, vollkommen unverständlich und unartikuliert?

Und so, mit diesen Lauten, präsentiert sich Lorenzo, als ich ihn das erste Mal sehe. Nicht nur die Laute, die er von sich gibt, sind an keinem Sinn fixiert, sondern auch sein Blick scheint keinerlei Objekt, nichts, zu fixieren. Er streift ziellos im Zimmer umher, schaut nicht in den Spiegel, auch dann nicht, wenn er davorsteht, sondern starrt aus dem Fenster, – d.h. auf eine „Allabwesenheit“, auf die Leere hinter dem Fenster, Leere, die den Ort darstellt, in dem das Reale und der Signifikant getrennt sind. Alles bleibt im Realen, auf der einen wie auf der anderen Seite des Fensterglases, ohne Bezug zum Imaginären.

Lorenzos Blick schweift umher und er selbst wandert durch den Raum auf der Suche nach einer Unterlage, die es ihm erlaubt das zu tun, was sein einziges, exklusives Spiel ist: kleine Stöckchen, Stifte finden, die er in vorhandene und nicht vorhandene Löcher steckt, oft nur von ihm entdeckte kleine Lücken, zum Beispiel im Holz, oder von ihm hergestellte, in Knetgummi. Wenn er Stöckchen hineingesteckt hat, sucht er nach jeglicher Art von Aufklebern, um die Stifte festzukleben: er klaut sie im Supermarkt von Bananen, von Schuhen, von überall her, erzählt die Mutter. Sitzt ein solches Stöckchen dann fest, ist es eingepflanzt, macht er eine Runde um es, betrachtet es mit sichtlichem Vergnügen, ja Genießen, von allen Seiten.

„Er muss damit aufhören, dieses Spiel zu spielen“, sagt mir der Vater, der sich der offensichtlichen Erregung bewusst ist, die es begleitet. „es ist ja nicht mal eine schöne Frau, die er so anschaut, – fügt er hinzu – ich sage ihm schau dir lieber schöne Frauen so an“.

Welches FORT-DA erleben wir hier? Welches Genießen wiederholt sich in diesem Spiel, und welches ist das Leiden, das ihm eine Grenze gesetzt hat? Es ist die Wiederholung dessen, was mit ihm gemacht wurde, es sind die Zäpfchen, die ihn ausfüllten und die seiner Mutter die absolute Kontrolle über seinen Körper gaben, so wie es vorher mit der Brust geschah, mit der sie seinen Mund zustopfte, damit aus dem Körper des Kindes nichts ausströmen konnte, was einem Begehren glich und sie auf ihren Mangel hingewiesen hätte.

Es ist dieses genießende Leiden, das Lorenzo in seinem Spiel wiederholt.

Jene wenigen Male, hingegen, in denen er am Anfang der Sitzung malt, d.h. kritzelt, umgibt er jedes Zeichen mit einem Kreis, als ob er es markieren wolle, und so sieht es wie eine Sonne, mit nach innen gerichteten Strahlen aus. Dies geschieht am Anfang der Behandlung. Nach einigen Monaten fängt er an, schöne Kreise mit Strahlen nach außen, und auch losgelöst vom Kreis, zu malen.

Aber es ist an der Zeit sich zu fragen, was Lorenzos Geburt vorausging. Hören wir uns noch einmal die Worte der Mutter an:

„Als mein Mann eine Affäre mit einer anderen Frau hatte, weil mein Rücken schmerzte, fühlte ich mich betrogen, weil ich noch ein Kind wollte, die Große war schon 7 Jahre alt. Aber er wollte keine Kinder mehr. Ich fühlte mich sexuell benutzt, nur zum Vergnügen Sex. Die Männer verstehen unser Bedürfnis an einem gewissen Punkt nicht. Meine Tochter wollte auch einen kleinen Bruder, sie sagte ‚Wem soll ich mich anvertrauen, wenn ihr nicht mehr seid, ich werde dann ganz allein sein*. Ich wurde trotzdem schwanger, mein Mann war nicht glücklich darüber; aber als ich dann eine Fehlgeburt hatte, der Fötus war bereits an einer Virusinfektion gestorben, versprach er mir ein weiteres Kind. Klar war ich sexuelle unterkühlt, nachdem ich dieses tote Baby im Bauch gehabt hatte. Ich wollte ein weiteres Kind, weil die Fehlgeburt in mir eine Leere hinterlassen hatte.“

Es dauert drei Jahre, bis sie wieder schwanger ist, mit Lorenzo. Was sie ein wenig zu bremsen schien, war ihr Rückenproblem, der Bandscheibenvorfall, an dem sie sich schließlich operieren ließ.

„Ich war besorgt, dass die Narkose – vier Monate vor der Schwangerschaft – dem Baby schaden könnte, aber der Gynäkologe hat mich beruhigt.“

Was anderes als die tödliche Macht, die das Imaginäre hat, das Phantasma der Mutter über den Körper des Kindes, kommt hier zum Vorschein? Irgendwo, irgendwie scheint sie zu wissen, dass etwas vom Körper einer Mutter dem Kind schaden kann.

So erzählt eine Legende aus ihrer Kindheit:

„Einmal wäre ich wegen des Wiederausstoßens von Milch fast gestorben. Es ging mir sehr schlecht, ich lag eine Woche im Koma; daher der Wirbelschaden und das verrenkte Bein, das ich habe.  Jetzt liebe ich Milch, alle in unserer Familie, außer Lorenzo, der Joghurt isst.“ Es ist auf der oralen Ebene, dass das Bedürfnis den Tod mit sich bringt, was letztlich dazu führt, dass das Kind nicht zum Begehren erwacht.

Begehren als CORVÉE, das französische Wort für Zwangsarbeit, der man nicht entkommen kann, aber in Lorenzos Fall ist es im Schmerz Körper, im Körper Schmerz gefangen, in der Unmöglichkeit, etwas anderes zu artikulieren als einfache Laute, die von anderswo her zu kommen scheinen, die klingen, wie für sie vielleicht CORWEH – meinen Signifikanten entnommen: CORPS Körper, Weh, Schmerz.

So kam es mir vor, so schien es mir, dass Lorenzos Sprache eine Art eigene Sprache ist, die sich manchmal von Klängen einfangen lässt, die ihm eigentlich nichts sagen können, wie zum Beispiel, als ich in einer Sitzung deutsch mit ihm (zu ihm) sprach. Da wurde er neugierig, sah mich einen Moment lang an und kam näher.

Vielleicht war es der Ruf von etwas, das ihn und seine Mutter einst in ein Leidensgenießen eingehüllt hatte, was dazu führte, dass nicht einmal seine Worte sich artikulieren, Gestalt, Körper, annehmen konnten.

Das Sprechen war einfach durch ihn hindurchgegangen, hatte ihn durchquert ohne ihn zu brandmarken, ohne fixiert zu werden; sein Sprechen war wie seine Körperflüssigkeiten, nicht fixiert, nicht fixierbar, ohne Verschluss, ohne Okklusive, Lautverschluss.